Leinsamen

Leinsamen

Mit Leinsamen verbinde ich unweigerlich weder gesunde Ernährung noch Krebsprävention, sondern meine Oma.

Oma hatte, wie ich später begriff, Verstopfung, der sie mit den kleinen Kernchen beikommen wollte.

Im Alter zwischen null und zehn Jahren macht man sich, sofern man nicht selbst betroffen ist, eher keine Gedanken über solche Dinge, und meine kluge Großmutter hat glücklicherweise darauf verzichtet, mir ihre gesundheitlichen Probleme nahezubringen.

Daher hatte ich keinen Schimmer, wofür die Samen gut sein sollten, und als ich sie entdeckte und unbedingt probieren wollte, überließ Oma mir achselzuckend ein kleines Schälchen, das ich ernsthaft und ziemlich begeistert vertilgte. Ich fand die Samen nämlich ausgesprochen lecker.

Ich mußte danach auch irgendwann ziemlich brisant mal den stillen Ort aufsuchen, doch, wie gesagt, solche Details stören einen mit sieben oder neun Jahren eher nicht.

Irgendwann stellte ich einen Zusammenhang her zwischen Leinsamenkonsum und dringendem außerplanmäßigem Geschäft, da ich meiner Oma regelmäßig etwas von den leckeren nussigen Samen abschwatzte und sie mir auch jedes Mal bereitwillig ein paar Teelöffel davon überließ.

Da das Konzept von gesundheitlichem Nutzen mir damals noch fremd war, betrachtete ich das ganze als gelegentliche Nascherei, die halt eben Nebenwirkungen hatte.

Mit Oma entschwanden schließlich auch die Leinsamen aus meinem Leben, doch blieben alle beide unvergessen, und als ich mit dreizehn auf den Öko-Trip gelangte und den Vollwert-Pfad einschlug, entdeckte ich zu meiner größten Freude Leinsamen-Vollkornbrot.

Nicht unbedingt ein Ersatz für meine Oma, aber – zumindest eine schöne Erinnerung. Wenig ist bekanntlich besser als nichts.

Darüber hinaus war mit der Pubertät das Ernährungsbewußtsein in mir erwacht, das mich alles Eßbare mit völlig neuen Augen betrachten ließ, weshalb ich mich mit sechzehn in der Stadtbücherei begeistert auf ein Buch aus den 50er Jahren stürzte, das sich als „Praktischer Ratgeber für die moderne Reformkost“ bezeichnete. Aus diesem bezog ich meine ersten Weisheiten über Leinsamen – zum Beispiel, daß er entzündete Verdauungswege lindert, krampflösend wirkt und als mildes Abführmittel Verwendung findet.

Die Volksmedizin hat durchaus nicht immer und in allem recht, aber manchmal schon, und in Hinsicht auf Leinsamen liegt sie ziemlich richtig.

Nachdem über lange Zeit vor allem die entzündungslindernde und abführende Wirkung im Vordergrund stand, hat man sich in den letzten Jahrzehnten darauf besonnen, daß Leinsamen eine der reichsten pflanzlichen Quellen für Omega-3-Fettsäuren sind.

Lange bevor uns die Chia-Samen erreichten, wurde Leinöl als die pflanzliche Quelle für Omega-3-Fette propagiert und genutzt.

Leinsamen sind die Samen des Gemeinen Leins (Linum usitatissimum), auch als Flachs bekannt. Abgesehen von den Samen, werden die Fasern der Pflanze bereits seit Jahrtausenden zur Herstellung von Leinenstoffen verwendet. Das älteste Leinentuch, das man bisher gefunden hat, wurde in Ägypten entdeckt und stammt aus der Zeit zwischen 3500 und 3000 v. Chr.

Leinöl oxidiert sehr leicht an der Luft – ernährungstechnisch bedeutet das, daß es ranzig wird und dann ziemlich unerfreulich schmeckt. Ansonsten führte diese Eigenschaft dazu, daß man im 15. Jahrhundert Ölfarbe auf Leinölbasis entwickelte, die den Ruf hatte, unverwüstlich zu sein. Noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde Holz für Fensterrahmen usw. mit Leinölfarbe behandelt, was dafür sorgte, daß das Holz nicht verrottete.

Hundert Gramm Leinsamen enthalten 450 Kilokalorien, 41 Gramm Fett, 28 Gramm Faserstoffe und 20 Gramm Protein.

Das Öl der Leinsamen besteht zu 50-70% aus Alpha-Linolensäure, der Omega-3-Fettsäure, die zu den essentiellen Omega-3-Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docohexaensäure) umgebaut werden kann (siehe Artikel über Chiasamen).

Der Rest des Leinöls besteht aus 10-20% Linolsäure, einer Omega-6-Fettsäure, 12-14% Ölsäure (wichtigster Vertreter der einfach ungesättigten Fettsäuren und Hauptbestandteil des Olivenöls) sowie jeweils weniger als 10% Stearin- und Palmitinsäure.

Leinsamenprotein hat einen hohen Anteil der essentiellen Aminosäuren Lysin, Methionin und Tryptophan und ist daher eine wertvolle Eiweißquelle insbesondere für Vegetarier und Veganer.

Ebenfalls in hoher Menge in Leinsamen enthalten sind Lignane, die zu den Phytoöstrogenen zählen und auch eine antioxidative Wirkung haben. Der Konsum von Leinsamen kann sich daher in den Wechseljahren sehr positiv auswirken. Es gibt auch Hinweise darauf, daß der hohe Lignangehalt vorbeugend bei Prostatakrebs und Brustkrebs wirken könnte.

Leinsamen enthalten zudem das cyanogene Glycosid Linamarin, das bei Kontakt mit den Enzymen der Darmflora zu Blausäure zersetzt wird. Allerdings ist der Gehalt so gering, daß bei üblichen Verzehrsmengen keine Gefahr bestehen dürfte (nach Umwandlung 50 mg Blausäure auf 100 g Leinsamen, wobei die Umwandlung durch die Magensäure deutlich behindert wird). Wird Leinsamen erhitzt, etwa bei der Verwendung in Backwaren, wird das Linamarin zerstört und somit vollkommen unschädlich.

Die verdauungsregulierende Wirkung von Leinsamen besteht darin, daß die in den Samen enthaltenen Schleimstoffe in Wasser aufquellen und den Kot erweichen. Durch das auf diese Weise erhöhte Kotvolumen werden die Dehnungsrezeptoren der Darmwand gereizt und somit der Entleerungsreflex ausgelöst.

Leinsamenschleim wirkt bei Gastritis schützend auf die Magenschleimhaut.

Ferner hat man festgestellt, daß der Konsum von Leinsamen nicht nur den Cholesterinspiegel, sondern auch die Konzentration von entzündungsfördernden Oxylipinen im Körper senkt und sich günstig auf Bluthochdruck auswirkt.

Schließlich muß man noch den hohen Gehalt an B-Vitaminen (außer Folsäure und Vitamin B12) in Leinsamen erwähnen.

Studien haben zudem erwiesen, daß Leinöl sich positiv auf Schmerzen und Nervenfunktionen bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom auswirkt.

Insgesamt gibt es relativ wenig Studien am Menschen zu Auswirkungen von Leinsamengenuß auf die Gesundheit beziehungsweise auf die Entwicklung bestimmter Krankheiten wie Krebs, Bluthochdruck usw. Versuche an Zellkulturen und Labortieren zeigten vielversprechende Ergebnisse, die jedoch noch am Menschen verifiziert werden müßten. Als einigermaßen gesichert gilt, daß erhöhter Verzehr von Leinsamen das Brustkrebsrisiko senkt beziehungsweise die Heilungschancen bei bestehendem Brustkrebs verbessern kann.

Besondere Bedeutung hat die Öl-Eiweiß-Kur nach Johanna Budwig erlangt, die aus der alten Lausitzer Tradition entwickelt wurde, Quark mit Leinöl zu verzehren.

Allerdings ist es schwierig zu bestimmten, ob der positive Effekt der Budwig-Kur nun tatsächlich auf dem Verzehr von Quark mit Leinöl beruht oder auf der Tatsache, daß diese Diät grundsätzlich Zucker, tierische Fette und alle industriell verarbeiteten Produkte verbietet und außer aus Quark und Leinöl aus viel Obst, Gemüse und Faserstoffen besteht.

Aus persönlicher Beobachtung habe ich festgestellt, daß lediglich die Integration von Quark mit Leinöl in einen sonst „normalen“ Speiseplan keinerlei Effekt bei Krebspatienten zeigte.

Grundidee der Budwig-Diät ist, daß die schwefelhaltigen Proteine aus Quark oder Hüttenkäse zusammen mit den Omega-3-Fettsäuren des Leinöls sich auf die Zellatmung von Tumoren auswirken.

Das ist höchstwahrscheinlich richtig, doch erzielt man den gleichen beziehungsweise einen ähnlichen Effekt mit jeder Art ketogener Diät, die reich an Omega-3-Fetten ist, keinen Zucker und keine industriell verarbeiteten Nahrungsmittel enthält.

Dennoch muß man sagen, daß die Lausitzer Tradition, Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl zu essen, ernährungsphysiologisch ausgesprochen sinnvoll ist, da die Aminosäuren aus Quark und Kartoffeln sich zu einem vollständigen, gut bioverfügbaren Aminosäureprofil ergänzen.

Hier nun ein paar praktische Tips, wie man Leinsamen und Leinöl sinnvoll in eine Krebs-präventive, low-carb oder auch ketogene Ernährung einbauen kann:

  • Wie für Chiasamen gilt auch für Leinsamen, daß sie nur dann richtig verwertet werden können, wenn sie gemahlen verzehrt werden. Ganze Leinsamen werden meistens (deutlich sichtbar) unbehelligt wieder ausgeschieden.

  • Gemeinhin gilt, daß gemahlene Leinsamen sich nicht lange halten und schnell oxidieren, also ranzig werden. Allerdings hat man festgestellt, daß dies nicht zwangsläufig der Fall ist, wenn die gemahlenen Leinsamen rasch luftdicht verpackt werden. Will man also Leinsamen auf Vorrat mahlen, sollte man die gemahlenen Samen in einem dicht schließenden Glas an einem kühlen Ort oder auch im Kühlschrank aufbewahren.

  • Zum Backen kann man entöltes Leinmehl ebenso wie jedes andere entölte Nußmehl (z. B. Kokosmehl) verwenden. Dabei muß man natürlich beachten, daß entölte Mehle viel Flüssigkeit aufsaugen und man auch das entzogene Fett wieder zufügen muß, damit die Backwaren nicht zu trocken und krümelig oder kompakt werden.

  • Man kann auch frisch gemahlene Leinsamen als Mehlersetz verwenden, beispielsweise in Kombination mit gemahlenen Mandeln, Kokosmehl, Sojamehl. Da Leinsamen einen sehr geringen Kohlenhydratgehalt haben, eignen sie sich sehr gut für eine ketogene Ernährung.

  • Will man seinem Müsli oder Smoothie Leinsamen zufügen, muß man sie, wie oben gesagt, mahlen, sonst hat man allenfalls den abführenden Effekt, profitiert jedoch weder von den Fetten noch von den anderen wertvollen Inhaltsstoffen.

  • Gemahlene Leinsamen können in veganen Backwaren als Ei-Ersatz benutzt werden: Pro Ei 1 Eßlöffel gemahlene Leinsamen mit 2 Eßlöffeln Wasser kurz köcheln, bis eine schleimige Masse entsteht. Diese abkühlen lassen und (in Backwaren, sonst nicht) wie Ei verwenden.

  • Die berühmte Lausitzer Spezialität: Pellkartoffeln mit Magerquark und Leinöl. Hierfür am Vortag die Pellkartoffeln kochen (die Stärke in den Kartoffeln verklebt nach dem Abkühlen zu unverdaulichen Stärkemolekülen, was den Anteil an verdaulichen Kohlenhydraten senkt und die Blutzuckerwirkung der Kartoffeln deutlich verbessert). Vor dem Verzehr Quark mit frisch gehackten Kräutern, Zwiebeln, Salz und Pfeffer nach Geschmack verrühren, einen guten Schuß Leinöl unterrühren und mit den Kartoffeln servieren. Die Kartoffeln können vor dem Verzehr auch wieder erhitzt werden, das ändert nichts an den neu gebildeten unverdaulichen Stärkemolekülen.

  • Leinöl sollte auf jeden Fall im Kühlschrank aufbewahrt und innerhalb von 6-8 Wochen aufgebraucht werden. Schmeckt es bitter oder unangenehm fischig, ist es oxidiert und sollte nur noch verwendet werden, um Holz zu imprägnieren.

  • Eiweißshakes werden durch die Zugabe von Leinöl deutlich aufgewertet.

  • Leinöl sollte nicht zum Kochen verwendet und nicht erhitzt werden, weil Erhitzen die empfindlichen Omega-3-Fettsäuren zerstört. Daher das Öl immer erst unmittelbar vor dem Servieren ins oder über das Essen geben.

  • Leinöl mit Kokosfett gemischt ergibt einen schmackhaften und gesunden Brotaufstrich: 250g bei niedriger Hitze geschmolzenes Kokosöl und 125 ml gekühltes Leinöl mischen, im Kühlschrank fest werden lassen. Man kann die Menge natürlich auch halbieren.

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