Glykämischer Index und glykämische Last

Glykämischer Index und Glykämische Last

Anfang der 1990er Jahre führte Michel Montignac mit der nach ihm benannten Montignac-Methode, einer neuen Methode zur Gewichtsreduktion, den sogenannten glykämischen Index in die Welt der Diäten ein.

Der glykämische Index ist eine Maßeinheit, mit der die Wirkung einer bestimmten Kohlenhydratmenge auf den Blutzuckerspiegel bestimmt wird. Je höher die Zahl, desto stärker der durch das entsprechende Lebensmittel verursachte Blutzucker-Anstieg.

Gemessen wird der Blutzuckeranstieg nach Aufnahme von 50g Kohlenhydraten aus einem Lebensmittel, also nicht 50g des Lebensmittels, sondern der Menge, in der 50g Kohlenhydrate enthalten sind. Das ist natürlich bei Brot eine geringere Menge als etwa bei Wassermelonen, da diese ja zu einem großen Teil aus Wasser bestehen.

Als Referenzwert dient reine Glucose mit einem glykämischen Index (GI) von 100. Anders gesagt, der Blutzuckeranstieg nach der Aufnahme von 50g reiner Glucose wird mit 100 beziffert.

Ursprünglich war der glykämische Index in den 1980er Jahren als reiner Laborparameter in der Diabetes-Forschung entwickelt und verwendet worden, bis er von verschiedenen Gewichtsreduktions-Diäten als Hilfsmittel eingeführt wurde, die auf dem Verzehr von Lebensmitteln mit niedrigem glykämischem Index basieren.

Die prinzipielle Idee dabei ist, daß Lebensmittel, die einen hohen Blutzucker-Anstieg bewirken, naturgemäß auch einen hohen Insulinspiegel zur Folge haben, was die Gewichtsabnahme behindert beziehungsweise die Gewichtszunahme sogar noch fördert, da ein hoher Insulinspiegel für Heißhunger-Attacken sorgt, die Einlagerung von Fett begünstigt und den Abbau von Fett verhindert.

Eingeteilt wird hier in Lebensmittel mit:

Hohem GI = GI über 70

Mittlerem GI = GI zwischen 50 und 70

Niedrigem GI = GI unter 50

Dies ist grundsätzlich ein richtiger Gedanke. Allerdings hat sich herausgestellt, daß der glykämische Index tatsächlich eher als Laborparameter nützlich ist und sich nicht einfach auf die Praxis übertragen läßt.

Das hat zwei Gründe: Zum einen sagt der glykämische Index nur etwas aus über die Wirkung von 50g Kohlenhydraten aus einem bestimmten Lebensmittel auf den Blutzuckerspiegel. Dies ergibt unrealistische Portionsgrößen und verzerrt somit das Bild, welche Wirkung das verzehrte Lebensmittel in der Realität hat: Der GI von Wassermelonen wird mit 72 angegeben, ist demnach hoch. Der GI eines Weißbrötchens wird mit 73 angegeben und ist ebenfalls hoch.

Allerdings besteht die Wassermelone zum Großteil aus Wasser und hat nur 5g Kohlenhydrate pro 100g, was bedeutet, daß man 1kg Wassermelone essen müßte, um 50g Kohlenhydrate aus Wassermelonen zu sich zu nehmen. Von dem Weißbrötchen jedoch braucht man nur 100g zu sich zu nehmen, um die gleiche Wirkung auf den Blutzuckerspiegel zu erzielen wie mit 1kg Wassermelone.

Das ist natürlich völlig unrealistisch, da man in der Regel mehr als 100g Brötchen ißt und weniger als 1kg Wassermelone.

Entsprechend hat die Wassermelone, wenn man eine realistische Portionsgröße zugrunde legt, einen wesentlich geringeren Anstieg des Blutzuckers zur Folge. Das Weißbrötchen hingegen, da man davon ja mehr ißt, läßt den Blutzucker sogar noch mehr ansteigen als der GI von 73 glauben läßt.

Um nun beim Weißbrötchen zu bleiben:

Der zweite Grund, weshalb der GI nicht praxistauglich ist, besteht darin, daß man normalerweise nicht nur 150g trockenes Brötchen ißt.

Das Brötchen bekommt einen Belag, der meistens Fett und Eiweiß enthält, und diese Kombinationen beeinflussen die Wirkung der Kohlenhydrate auf den Blutzuckerspiegel, so daß die Angaben des GI nicht mehr aussagekräftig sind.

Davon abgesehen gibt es individuell starke Schwankungen, das heißt, nicht jeder Mensch reagiert auf die gleichen Kohlenhydrate mit dem exakt gleichen Anstieg des Blutzuckerspiegels.

Um das Problem mit den unrealistischen Portionsgrößen zu korrigieren, wurde die sogenannte glykämische Last eingeführt (GL).

Sie berücksichtigt sowohl den GI als auch die Kohlenhydratmenge in 100g eines Lebensmittels.

Damit wird natürlich wieder eine vernünftige Relation bei Lebensmitteln mit geringer Kohlenhydratdichte wie der Wassermelone hergestellt: Das Weißbrötchen, weil es auf 100g viele Kohlenhydrate enthält, kommt weiterhin schlecht weg, während die Wassermelone nun als weniger stark den Blutzucker steigernd dargestellt wird.

Allerdings berücksichtigt auch die glykämische Last nicht die Wirkung von kombinierten Lebensmitteln, ist also ebenfalls nur bedingt praxistauglich.

Möchte man daher, um Krankheiten wie Diabetes und eben auch Krebs vorzubeugen, eine Ernährung einhalten, die für einen gleichmäßigen Blutzucker- und Insulinspiegel sorgt, empfiehlt es sich eher, auf den Kohlenhydratgehalt und entsprechend realistische Portionsgrößen eines Lebensmittels zu achten als auf GI oder GL.

Abgesehen von der absoluten Menge an Kohlenhydraten, die nicht allzu hoch sein sollte, gilt hier ferner die Regel, daß komplexe Kohlenhydrate und solche, die mit Faserstoffen kombiniert sind wie in Gemüse, Obst und Vollkorn, einfachen Kohlenhydraten wie Weißmehl und Zucker vorzuziehen sind.

Ein paar praktische Tips für den Alltag, um den Blutzucker- und Insulinspiegel auch bei Kohlenhydratverzehr nicht zu hoch zu treiben beziehungsweise stark zucker- oder stärkehaltige Lebensmittel auf einfache Weise zu ersetzen:

  1. Die Kombination von Stärke und Fett bewirkt, daß der Insulinspiegel langsamer ansteigt als beim Verzehr von reiner Stärke. Wenn Sie also (in Maßen) Brot oder Nudeln essen, essen Sie Fett dazu. Dadurch wird die Stärke langsamer abgebaut, der Blutzucker steigt nicht sprunghaft, sondern nach und nach, und es wird nicht zu viel Insulin auf einmal ausgeschüttet. So kommt es weniger leicht zu plötzlichem Blutzuckerabfall mit Insulinüberschuß, der Heißhunger hervorruft.

  2. Kartoffeln: Es spricht – außer bei einer ketogenen No-Carb-Ernährung – nichts dagegen, gelegentlich einmal Kartoffeln zu genießen. Kochen Sie die Kartoffeln als Pellkartoffeln und lassen Sie sie einmal vollständig abkühlen, bevor Sie sie verzehren oder weiter verarbeiten. Beim Kochen zerfallen die Kohlenhydrate der Kartoffeln in sehr einfache Stärkemoleküle, die den Blutzucker rasch anheben und für eine starke Insulinausschüttung sorgen. Durch das Abkühlen jedoch entstehen Verklebungen zwischen den Stärkemolekülen, die vom Körper langsamer aufgespalten werden und daher Blutzucker- und Insulinspiegel weniger stark belästigen als frisch gekochte Kartoffeln. Die Verklebungen bleiben auch bestehen, wenn die vollständig abgekühlten Kartoffeln dann noch einmal wieder aufgewärmt werden, etwa für Bratkartoffeln.

  3. Versuchen Sie einmal, Reis durch „Blumenkohl-Reis“ zu ersetzen: Blumenkohlröschen blanchieren, dann in der Küchenmaschine zu kleinen „Reiskörnchen“ zerkleinern und wie Reis servieren (für Milchreis funktioniert das allerdings natürlich nicht!).

  4. Eine erstaunlich leckere Alternative zu Pasta sind Zucchini-oder Möhren-Spaghetti: Zucchini oder Möhren mit einem Spiralschneider zu Spaghetti schneiden und in der gewünschten Sauce kurz aufkochen.

  5. Versuchen Sie gebackene Blumenkohl-Kroketten statt Kartoffelkroketten: Dämpfen Sie einen kleinen Blumenkohl, bis die Röschen weich, aber noch bißfest sind, lassen Sie die Röschen abkühlen und zerkleinern Sie sie dann in der Küchenmaschine, bis sie sehr fein gehackt, aber noch nicht püriert sind. Drücken Sie nun den zerkleinerten Blumenkohl in einem Handtuch gut aus und fügen Sie der Blumenkohlmasse ein steif geschlagenes Eiweiß, Salz und Pfeffer nach Geschmack, ca. 150ml geriebenen Parmesan oder Pecorino und eventuell 1-2 Eßlöffel Kokosmehl oder gemahlene Mandeln hinzu. Formen Sie mit einem Eßlöffel Bällchen, die Sie auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech setzen, und backen Sie die „Kroketten“ bei 190°C ca. 30 Minuten oder bis sie goldbraun sind.

  6. Vollkornreis ist für den Blutzucker natürlich günstiger als weißer Reis, weil die Reiskleie die Stärkeverdauung verlangsamt und daher für einen langsameren Blutzuckeranstieg sorgt. Allerdings vertragen viele Menschen Vollkorn nicht so gut, was vermutlich unter anderem daran liegt, daß volles Korn eine Reihe von „Anti-Nährstoffen“ enthält, die die Verarbeitung des Korns und die Nährstoffaufnahme daraus behindern. Weichen Sie Vollkornreis 24 Stunden ein, bevor Sie ihn kochen; dadurch wird ein Teil der Anti-Nährstoffe entfernt, der Reis wird bekömmlicher, und der Organismus kann die darin enthaltenen Nährstoffe besser aufnehmen.

  7. Verzichten Sie nicht auf gekochte Möhren, weil irgendjemand gesagt hat, die hätten einen schlechten GI und seien deswegen ungesund. 100g rohe Möhren enthalten 4,8g Kohlenhydrate, davon 2,8g Zucker. Sie enthalten aber auch sehr viel gesundes Beta-Carotin, das für den Körper besser verfügbar wird, wenn die Möhren gekocht sind. Um eine möglicherweise ungünstige Wirkung auf den Blutzucker- und Insulinspiegel zu haben, müßten Sie 800g gekochte Möhren essen. Das tun Sie vermutlich nicht. Außerdem essen Sie die Möhren mit Fett – Beta-Carotin ist fettlöslich, ohne Fett sind die Möhren recht sinnlos. Und das Fett bewirkt wiederum, daß die Möhren langsamer verdaut werden, also der Blutzuckerspiegel langsamer ansteigt. Eine Portion von 250g gekochten Möhren mit gutem Fett und ein bißchen Bio-Fleisch, Fisch, Tofu oder Ei ist ohne den geringsten Zweifel gesünder als eine durchschnittliche Semmel mit Leberkäse.

  8. Verzichten Sie aus dem gleichen Grund nicht auf Wassermelone. Eine Portion Wassermelone an einem heißen Sommertag enthält weniger Zucker, der den Blutzucker ansteigen läßt, als ein Glas kalter Apfel- oder Orangensaft, gesüßter Eistee oder gar Limonade.

  9. Lassen Sie sich nicht durch den traumhaft scheinenden GI von Fruchtzucker (Fructose) dazu verleiten, allen Zucker in Ihrer Ernährung durch Fruchtzucker zu ersetzen. Fruchtzucker erhöht die Triglyzeride im Blut und scheint, obwohl er ohne Insulin verarbeitet wird, eher zu Insulinresistenz zu führen als anderer Zucker. Reduzieren Sie lieber die Gesamtmenge an Zucker in Ihrer Ernährung, benutzen Sie Roh-Rohrzucker, Honig, Ahornsirup, Rübensirup als Gewürz und süßen Sie mit Xylit, Erythrit und Stevia.

  10. Probieren Sie einmal Nudeln aus Linsen, die man im Bioladen finden kann. Natürlich schmecken diese nicht genau wie normale Weizennudeln, aber es macht Spaß, mit unterschiedlichen Geschmackserlebnissen zu experimentieren.

  11. Kamut-Nudeln sind ebenfalls eine schöne Alternative, die geschmacklich problemlos mit normaler Weizenpasta mithalten kann, den Blutzucker jedoch wesentlich gleichmäßiger hält als diese und daher keine nachfolgenden Heißhunger-Attacken auslöst.

  12. Meiden Sie Weizenmehl, soweit es geht – auch Vollkornweizen. Sehr viele Menschen haben zwar keine wirkliche Weizenallergie oder gar Zöliakie, können jedoch Weizen nicht gut verarbeiten, weil die modernen Weizensorten sehr viele Anti-Nährstoffe enthalten und zudem fertigen Weizenbackwaren eine große Zahl von Zusatzstoffen zugefügt werden, die nicht deklariert zu werden brauchen, die jedoch auf Dauer zu Unverträglichkeiten führen. Diese Unverträglichkeiten können sich in starken Blutzuckerschwankungen niederschlagen, die oft verschwinden, wenn man Weizen meidet.

  13. Lassen Sie sich nicht von der Annahme irreleiten, „glutenfrei“ oder „weizenfrei“ bedeute automatisch „gesund“. Viele glutenfreie Produkte enthalten vollkommen unphysiologische Mengen reiner Stärke und sind daher eine Katastrophe für den Zuckerhaushalt. Achten Sie auf die Inhaltsstoffe: je weniger reine Stärke ein gluten- oder weizenfreies Produkt enthält, desto besser.

  14. Achten Sie im Zweifel nicht auf irgendwelche euphorischen Angaben über niedrigen GI eines kohlenhydratreichen Lebensmittels, sondern hören Sie auf den gesunden Menschenverstand: Wenn etwas viele Kohlenhydrate und Zucker enthält, wird viel Insulin benötigt, um es zu verarbeiten, egal, ob es sich um Vollkorn oder einen neuen Wunderzucker wie Kokosblütenzucker handelt. Die Dosis macht hier das Gift.

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